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Enthüllung der Gedenktafel zu Ehren von Kapitän Gustav Schröder

Botschafter Meitzner im Festsaal Rathaus Hadersleben, © Ute Levisen
Am Donnerstag den 20. September 2018 wurde bei einer Feierstunde im Rathaus von Hadersleben eine Gedenktafel zu Ehren des Kapitäns Gustav Schröder präsentiert.
Der gebürtige Haderslebener hatte 1939 mutig einem Befehl getrotzt, und damit, nach einer längeren Irrfahrt mit dem Schiff St. Louis, 937 Juden vor dem Tod gerettet. Zum Ablauf der Feier, gibt es einen Artikel im Nordschleswiger. Geladen waren u.a. der Schröders Großneffe Jürgen Glaevecke, der Botschafter Israels, Benny Dagan, und der deutsche Botschafter in Dänemark, Andreas Meitzner, dessen Rede Sie hier nachlesen können.

Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Geil,
Sehr geehrter Herr Botschafter Dagan,
Sehr geehrter Herr Glaevecke,
Sehr geehrter Herr Jürgensen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“
Dieses Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, gesprochen am 8. Mai 1985 anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes, formuliert präzise die Bedeutung der Vergangenheit für das Selbstverständnis des heutigen Deutschlands.
Das dunkelste und schrecklichste Kapitel der deutschen Vergangenheit ist die Shoah. Sie muss und wird uns immer in Erinnerung bleiben und Mahnung sein. Wir trauern um 6 Millionen ermordete Söhne und Töchter des jüdischen Volkes. Wir trauern auch um die Millionen weiteren Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Inmitten des Dunkels der Verbrechen gab es auch Leuchttürme. Zeichen der Menschlichkeit und der Hoffnung, die uns noch heute ein Vorbild sind.
Bewundernswerte Zivilcourage der Vielen, wie bei der Rettung der dänischen Juden in den dramatischen Tagen des Oktobers 1943, die sich in diesem Herbst zum 75. Mal jährt. Die „menschlichen Schutzschilde“, die Dänen und Däninnen damals um ihre jüdischen Mitbürger errichteten, gereichen Dänemark bis heute zur Ehre. Es gab aber auch viele Einzelne, die einen Unterschied machten und sich alleine gegen das Unrecht stemmten. Ein Beispiel ist Kapitän Gustav Schröder.
Seine Taten wurden uns bereits durch seinen Großneffen nähergebracht. Vielen Dank, sehr geehrter Herr Glaevecke, für diese eindrucksvolle Darstellung.
Die Irrfahrt der St. Louis fand bereits im Frühsommer des Jahres 1939 statt. Also noch bevor das nationalsozialistische Deutschland Europa mit Krieg überzog und noch bevor die Verfolgung und die Ausgrenzung der deutschen Juden, die von 1933 an immer deutlicher wurde, sich zu einem in der Geschichte beispiellosen Völkermord entwickeln sollte.
Im Frühsommer 1939 war das Wegsehen, das Ignorieren des Undenkbaren, für viele noch einfach. Nicht so für Kapitän Schröder. Für ihn stand außer Zweifel, dass sich seine Passagiere in größter Gefahr befanden. Ihm war klar, dass ihre Sicherheit auch von seinem Handeln abhing. Und er hatte den Mut, mit der St. Louis nicht, wie befohlen, nach Deutschland zurückzukehren. Er riskierte ohne zu zögern seine Karriere und seine Zukunft, um anderen Menschen zu helfen. Laut den Berichten der Passagiere an Bord der St. Louis behandelte Kapitän Schröder sie alle mit dem größten Respekt – so ließ er etwa in einem Raum, der auf der Fahrt als Synagoge diente, sogar das dort hängende Bild Adolf Hitlers entfernen. Die jüdischen Flüchtlinge, die sich aus Furcht vor Hass und Ausgrenzung in ihrem Heimatland auf die Reise in eine unbekannte und unsichere Zukunft machten, behandelte Kapitän Schröder ganz selbstverständlich wie Mitmenschen. Für seine Taten hat der Staat Israel Gustav Schröder als Gerechten unter den Völkern geehrt. Die Bundesrepublik Deutschland verlieh ihm im Jahr 1957 das Bundesverdienstkreuz. Die Stadt Hamburg benannte u.a. eine Straße und einen Park nach ihm und 1979 wurde die Irrfahrt der St. Louis in Hollywood verfilmt. Vor zwei Wochen erst brachte der deutsch-österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann ein Theaterstück auf Grundlage der Ereignisse auf die Bühne des Wiener Theaters. Gustav Schröder ist also kein vergessener Held, auch wenn er Zeit seines Lebens nie viel Aufmerksamkeit um seine Taten gemacht hat.
Es freut mich sehr, dass nun auch die Gemeinde Hadersleben die Initiative ergriffen hat, diesen besonderen Sohn der Stadt zu ehren. Mein ausgesprochenen Dank an die Initiatoren dieses Gedenken. Die Irrfahrt der St. Louis besitzt auch heute noch Aktualität. So werden, diesmal an europäischen Häfen, wieder Schiffe mit Flüchtlingen und Migranten abgewiesen. Es wird sogar ernsthaft diskutiert, in Seenot geratenen Männern, Frauen und Kindern die Hilfe zu verweigern. Mögen die Ursachen der Flucht heute andere sein, die Pflicht zu helfen ist die Gleiche. Ganz unabhängig von der Diskussion um Asylrecht, Höchstgrenzen und Integration. Nie wieder Hass, Gewalt oder Krieg war und ist das Leitmotiv des Europäischen Einigungsgedanken. Wir schweigen nicht, wir schauen nicht weg. Nicht wenn Menschen vor Krieg und Verfolgung flüchten. Nicht wenn Menschen zu ertrinken drohen. Aber auch nicht, wenn gegen Menschen gehetzt wird. Wir sind, vor allem auch in Deutschland, verpflichtet, der Fremdenfeindlichkeit und dem Antisemitismus in all seinen Auswirkungen entschieden entgegenzutreten. Ereignisse wie jüngst in Chemnitz, wo u.a. ein jüdisches Restaurant angegriffen wurde, sind verstörend. Dem muss entschieden entgegen getreten werden. Dies gilt genauso für den Antisemitismus, der sich in manchen Kreisen von Zugewanderten verbreitet hat. Gerade jungen Menschen muss vor Augen gehalten werden, dass Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des Anderen jeden von uns treffen kann. Hierzu gehört auch, die Erinnerung an die Shoah weiterzugeben.
Für viele Passagiere der St. Louis war die Rettung 1939 leider nur von kurzer Dauer und die Ereignisse fanden, trotz des Handelns von Gustav Schröder, nicht für alle ein glückliches Ende. Mit der Besatzung Belgiens, Hollands und Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht ab dem Frühsommer 1940 wurden die jüdischen Flüchtlinge der St. Louis erneut zu Verfolgten und mindestens 254 der 937 Menschen wurden bis 1945 als Folge des nationalsozialistischen Terrors ermordet. Auch Ihnen gilt heute unser Gedenken, auch sie dürfen wir nicht vergessen. Lassen Sie mich zum Schluss die Hauptperson, Kapitän Gustav Schröder, selbst zu Wort kommen. Seine bereits im Jahr 1949 herausgegeben Erinnerungen an die Reise der St. Louis beendete er mit einem Satz, die eine große Ähnlichkeit mit dem Zitat des Bundespräsidenten Weizsäcker aufweist und uns die Weitsicht und das humanistische Denken Gustav Schröders deutlich macht:
„Niemals möge die Mahnung vergessen werden, die das tragische Schicksal der schwergeprüften Passagiere für die gesamte Menschheit bedeutet: damit sich Grausamkeit und Unmenschlichkeit nie wieder breitmachen können.“
Vielen Dank.